Werner Richard Heymann 14.2.1896 - 30.5.1961

Texte

Musik und Bild als einheitliches Kunstwerk
von Werner Richard Heymann

in: Film und Ton (Wochenbeilage der Licht-Bildbühne), Nr. 47, 22.11.1930.

Richard Wagner, einer der kühnsten, größten Führer im Reiche der Musik, sprach die Mahnung aus: »Kinder, schafft Neues und abermals Neues! Hängt Ihr Euch an das Alte, so holt Euch der Teufel der Unproduktivität und Ihr seid die traurigsten Künstler!« Und auch die Forderung stammt von diesem musikalischen Heros: »Mich dünkt, soll passen Ton und Wort.« In den »Meistersingern« steht es und aller Singer Meister, Hans Sachs, erhebt das alte Gesetz zu einem neuen Postulat.

Beides gilt auch für die Kunstform des Tonfilms, insbesondere des musikalischen Tonfilms. Im stummen Film war die Musik von sekundärer Bedeutung. Sie war nur Untermalung, Begleitung, nicht einmal immer Illustration. War die Untermalung nicht gut, so vermochte sie einem hervorragenden stummen Film nichts von seiner bildhaft-dramatischen Qualität zu nehmen. War die Musik hingegen gut und der stumme Film schlecht, so wurde dieser durch jene kaum erträglicher.

Ganz anders liegen die Verhältnisse im Tonfilm. Zu dem Bewegungsvorgang der Bilderfolgen tritt der Ton als selbständiges und dramatisch bewegendes, spannendes und lösendes Element. Im Tonfilm und ganz besonders im musikalischen Tonfilm verlangt wieder jenes alte Meistersinger-Gesetz in neuer Variante ernsteste Beachtung: »Soll passen Ton und Bild.« Nicht immer ist diese Bindung von den Schöpfern im Bereich der neuesten Kunstform, dieser Kunstform unserer Epoche, im Tonfilm, klar erkannt worden, selten wurde man ihr gerecht. Aber es gibt noch einige wenige Tonfilm-Komponisten, die schon von Anbeginn ihres Schaffens sich klar waren darüber, daß dieses zeitgemäßeste, künstlerische Ausdrucksmittel eigene Gesetze habe, die alles das, was bisher als unverletzlich gelten konnte, im Bereich des Theaters und der Musik, sich unterordneten. So sagt Werner Richard Heymann, der Komponist der ersten Tonfilm-Operetten ganz offen: »Es war doch völlig neues Land, in das ich meinen Einzug hielt, als ich zum ersten Ufa-Tonfilm MELODIE DES HERZENS die Musik schrieb. Damals habe ich zu einem Film Musik geschrieben. Ich glaubte, die Musik sei das Primäre. Aber ich wurde bald zu der Erkenntnis geführt, daß ich irrte. Und so beugte ich mich ein wenig unter die Bindungen technisch-mechanischer Herkunft, die im Reich des Tonfilms herrschen und schrieb im LIEBESWALZER meine Melodien. Auch das war noch nicht genug. Nur der sich ganz beugt, vermag ganz zu herrschen und so tat ich dann den letzten Schritt: Ich opferte alte geheiligte musikalische Traditionen, erhob die Musik aber gleichzeitig wieder auf ihren Herrscherthron, in dem ich mit einem Film Musik machte, das heißt, versuchte den Rhythmus der bildhaften Bewegungs-Vorgänge musikalisch zu erfassen und zu durchdringen. Denn das ist das letzte Ziel der Tonfilmkunst, Ton - also auch Musik - und Bild zu einer organischen Einheit untrennbar zu verknüpfen. So suche ich das festgesteckte Ziel, das anscheinend heute noch unerreichbar ist, und dennoch eines Tages errungen sein wird: Das Tonfilm-Musik-Drama.

Tonfilm-Musik als neue musikalische Form
von Werner Richard Heymann

in: Film und Ton (Wochenbeilage der Licht-Bildbühne), Nr. 31, 01.08.1931.

Für die eindeutige, sachliche Stellungnahme zu diesem Thema muß von vornherein ein glatter Trennungsstrich gezogen werden zwischen den filmischen Bildfolgen mit gelegentlichen Gesangseinlagen sowie musikalischer Untermalung und der filmischen Darstellung, zu der die Musik und der Gesang in einem homogenen Verhältnis stehen.

Bei der ersten dieser beiden Kategorien, die eigentlich als Tonfilm-Surrogat angesprochen werden kann, spielen Musik und Gesang die gleiche passive Rolle, wie die musikalische Illustration bei den früheren stummen Filmen; mit dem einzigen Unterschied, daß der akustische Teil dabei einfach mechanisiert ist.

Diese Kategorie kann daher dem Film-Komponisten nur einen recht geringen Reiz bieten. Ganz zu schweigen von dem an sich schon stilwidrigen Versuch, musikalische Bühnenwerke vergewaltigen und auf die Filmleinwand bannen zu wollen.

Die zweite Kategorie hingegen, bei der die Musik, als primäres Element, aktiv in die Handlung eingreift und immer weiter anregend und belebend wirkt, eröffnet der Phantasie des Tonkünstlers ein weites Feld schöpferischer Betätigung, die in enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur eben zu der neuen musikalischen Form des Tonfilms führt. Diese neue Form ergibt sich folgerichtig schon aus den eigenen Gesetzen der filmischen Darstellungskunst selbst, falls im Tonfilm die Musik und der Gesang zum organischen Aufbau der Handlung beitragen, oder besser, denselben fördern und die Stimmung der einzelnen Situationen besonders hervortreten lassen.

Während meiner bisherigen Tonfilmarbeit konnte ich in der Praxis eine steigende Bestätigung meiner Ansichten über die Schaffung einer eigenen, musikalischen Form des Tonfilms feststellen. Bei jeder neuen Aufgabe, die ich übernahm, erwies sich die Anwendung der bei meiner ersten Tonfilm-Operette »Liebeswalzer« erprobten Methode als äußerst befruchtend und entwicklungsfähig. Von LIEBESWALZER zu DREI VON DER TANKSTELLE und zu IHRE HOHEIT BEFIEHLT war die Form der Filmoperette immer klarer umrissen, immer selbständiger geworden. Die heikle Frage der Chöre, zum Beispiel, die im Film aus der starren, passiven Haltung der Bühnen-Operette herausgerissen werden müßten, um als treibende Faktoren für die Fortentwicklung der Handlung zu dienen, schien bereits im ersten Werk glücklich gelöst zu sein. Man erinnere sich an den Chor der Gäste, die summend den Thronsaal des Lauenburger Schlosses verlassen, und damit die sich in der Tonfilm-Operette abspielende Liebesintrige stark unterstreicht. Oder an den Lach-Chor in dem Moment, wo der Held der Handlung an seiner Aufgabe zu scheitern droht und von dem fernen Klingen dieses sogar unsichtbaren Chors zur Entscheidung getrieben wird. In IHRE HOHEIT BEFIEHLT ist der Chor noch selbständiger geworden.

Die gleichen Richtlinien, die mir zur Schaffung einer für die Tonfilm-Operette geeigneten Form dienten, behalten natürlich ihre Geltung auch für die übrigen Gattungen der filmischen Darstellung. So für den W. Thiele-Film DER BALL und die beiden Groß-Tonfilme BOMBEN AUF MONTE CARLO und DER KONGRESS TANZT. Nur die absolute Verschiedenheit dieser beiden Stoffe ermöglichte mir die gleichzeitige Arbeit an beiden. BOMBEN AUF MONTE CARLO, ein musikalisches Tonfilm-Abenteuer, hat in musikalischer Hinsicht alle Vorzüge der Tonfilm-Operette beibehalten, ohne die Vergewaltigung der Logik, die die eigentliche Stilisierung der Operette erheischt. DER KONGRESS TANZT, eine historische Komödie aus der Zeit des Wiener Kongresses, erfordert eine zarte Charakterisierung der Zeitepoche, unter Verwendung von Altwiener Kompositionen und Motiven nach den obigen Prinzipien.

Nach diesen Ausführungen über die neue musikalische Form für den Tonfilm könnte die Frage auftauchen, ob im Tonfilm, mit Rücksicht auf das tyrannische Mikrophon, auch bezüglich der Instrumentation besondere Grundsätze zu befolgen seien. Nach meiner nunmehr recht reichen Erfahrung vermag jede gute, plastische und klare Instrumentation von der Tonkamera einwandfrei aufgenommen zu werden.

Geboren in Königsberg am 14. 2. 1896 - Saß schon mit drei Jahren am Klavier - Spielte alles nach, was ich hörte - Erste eigene Kompositionen mit fünf Jahren - Erste aufgeschriebene Komposition mit acht Jahren - Ab sechs Jahren Geigenunterricht; ab zwölf Jahren Mitglied des Philharmonischen Orchesters; Musiktheorie und Kontrapunkt unter Paul Scheinpflug - Mit sechzehn Jahren erstes Orchesterwerk - Erste Kompositionen (Lieder, Orchestergesänge, Orchesterstücke) erscheinen bei Josef Weinberger in Wien; nebenbei Gymnasium absolviert - Mit 17 Jahren wunderschöne erste Frau kennengelernt, was mit 20 zur Ehe führte - Mit 22 Jahren Uraufführung "Rhapsodische Symphonie" bei Weingartner mit Philharmonischem Orchester in Wien; anschließend Bühnenmusiken in Berlin: Max Reinhardt, Karlheinz Martin, Bertolt Viertel; außerdem literarisches Kabarett: Max Reinhardt, Rosa Valetti, Trude Hesterberg - Beginne auf Capri Streichquartett, das in Scharfling am Mondsee beendet wird; Uraufführung: "Schlößchen" von Stefan Zweig, Salzburg, Kapuzinerberg - Inflationshungerjahre in Berlin - Gründe kleines Orchester - Mache Stimmungsmusik in Filmateliers- Werde engagiert als Assistent von Ernö Rapée, Generalmusikdirektor der UFA - Schreibe so in einem Jahr 3.000 Seiten große Orchesterpartitur - Werde sein Nachfolger - Übernehme 120 Filmtheater als musikalischer Leiter - Verlasse die UFA aus Protest gegen das Hugenberg-Regime - Mache letzte Bühnenmusik bei Max Reinhardt: "Artisten" - Schreibe ersten Weltschlager: "Kennst Du das kleine Haus am Michigansee?" - Gehe zur TOBIS - Arbeite mit Tonfilmerfindern Masolle, Vogt und Engel; mache erste deutsche Tonfilme - Lerne wunderschöne Frau kennen; führt zur zweiten Ehe - Tonfilm kommt überall; UFA muß mich zurückholen - Arbeite hauptsächlich bei Erich Pommer; mache Musik zu den Filmen: "Liebeswalzer", "Die drei von der Tankstelle", "Hoheit befiehlt", "Bomben auf Monte Carlo", "Der Kongreß tanzt", "Der Sieger", "Quick", "Ich bei Tag und du bei Nacht", "Der blonde Traum", "Saison in Kairo"; in diesen Filmen die Schlager: "Liebeswalzer", "Du bist das süßeste Mädel der Welt", "Ein Freund, ein guter Freund", "Liebling, mein Herz läßt dich grüßen", "Es führt kein andrer Weg zur Seligkeit", "Das ist die Liebe der Matrosen", "Eine Nacht in Monte Carlo", "Das gibt's nur einmal", "Das muß ein Stück vom Himmel sein", "Hoppla, jetzt komm ich", "Irgendwo auf der Welt" und viele andere... - Verlasse die UFA wegen Hitler und gehe nach Paris - Erste große Operette "Florestan der l., Prinz von Monaco", nach dem Buch von Sacha Guitry - Erstes Engagement nach Hollywood zur CENTFOX: "Caravan", Regie: Eric Charell - Zurück nach Paris und London - In Paris zweite Operette in den Bouffes Parisiens: "Trente et quarante", Buch von Fodor und de Letraz - Maurice Chevalier-Film in London - 1936 zurück nach Hollywood, komponiere Musik zu über 40 Tonfilmen, darunter sechs bei Ernst Lubitsch, darunter "Rendez-vous-nach Ladenschluß" und "Ninotschka" - Lerne wunderschön dritte Frau kennen, was zur Ehe führt - 1951 zurück nach Europa - Lerne allerschönste, wunderschönste Wienerin kennen, was nicht nur zur Ehe, sondern auch zu einem himmlischen Mädchenkind führt - Schreibe Musik zu Filmen, u. a. "Heidelberger Romanze", "Alraune"; außerdem zu zahlreichen Dokumentarfilmen des American State Department; dazwischen die Chansons von der Bühnenfassung zu Heinrich Manns "Professor Unrat - Der blaue Engel"; Uraufführung in München (Kleine Komödie) - Pfingsten 1954 Uraufführung musikalisches Lustspiel "Kiki vom Montmartre" am Württembergischen Staatstheater, Stuttgart; dann Silvester-Premiere unter Leo Mittlers Regie am Thalia-Theater in Hamburg.
"Ich liebe: Meine Frau, mein Kind, die Welt, Menschen, Tiere, Landschaften, Essen, Trinken, Rauchen, Autofahren, Kochen, Bücher. Ich liebe die Freiheit.
Ich hasse: Diktatur, Gottlosigkeit, Notenschreiben, Wolle am Körper und Steinchen im Schuh. Ich hoffe: Auf die Vereinigten Staaten von Europa, eine lange Jugend, auch für meine wundervoll junge und himmlisch schöne Frau und - viel Geld."

Mit herzlichen Grüßen
Euer
Werner R. Heymann
(geschrieben 1958)
 

Eine ausführliche Autobiographie, die im Jahr 1928 abbricht,
diktierte Heymann kurz vor seinem Tod 1961.

(1919) Ein Bekannter aus dem Café des Westens war es, der mich zu "Schall und Rauch" brachte. Er hieß Rudolf Curz und war Literat, Schriftsteller und war zusammen mit Hans von Wolzogen, dem Sohn Ernst von Wolzogens, der mit dem literarischen Kabarett immer schon verbandelt war, zum Geschäftsführer des neu gegründeten literarischen Kabaretts eingesetzt worden. Noch ein dritter Leiter des Unternehmens war da, Heinz Herald, ein junger Regisseur am Deutschen Theater, und zwei literarische Leiter: Kurt Tucholsky und Walter Mehring. Zu musikalischen Leitern wurden schließlich Friedrich Hollaender und ich gewählt, und wir zwei Dichter und zwei Komponisten, zu denen später noch Klabund als Mitarbeiter trat, waren die ersten Autoren der Programme. Hollaender und ich wechselten uns am Klavier ab, was uns beiden nach der Premiere meistens sehr langweilig wurde, und wir suchten fieberhaft nach einem Pianisten. In diesen Tagen brachte mir mein Vetter Fritz Heymann einen jungen Komponisten und Pianisten ins Haus, der so hinreißend herrlich Klavier spielte und so entzückend komponierte, dass ich ganz begeistert war. Er hieß: Mischa Spoliansky und wurde sehr bald unser Dritter im Bunde, denn auch Hollaender war hingerissen von seinem Talent ...

siehe: · "Liebling, mein Herz lässt dich grüßen", Berlin 2001,
Henschel Verlag, S. 114

Seine Musik war überall. Man hörte sie aus den Orchestergräben der großen Theaterbühnen und auf den ramponierten Klavieren der kleinen Kabarettkeller, sie erklang im festlich geschmückten Konzertsaal und im abgedunkelten Kino. Und anschließend auf der Straße, wenn die Kintopp-Freunde die musikalischen Ohrwürmer vor sich hinsummten, die ihnen ihre Filmlieblinge Lilian Harvey und Olga Tschechowa, Willy Fritsch, Heinz Rühmann und Oskar Karlweis, Willi Forst und Käthe von Nagy, Hans Albers, Paul Hörbiger und die Comedian Harmonists von der Leinwand herab vorgesungen hatten: Liebling, mein Herz lässt dich grüßen, Das ist die Liebe der Matrosen, Du bist das süßeste Mädel der Welt, Hoppla, jetzt komm ich, Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bißchen Glück, Einmal schafft's jeder, Das muß ein Stück vom Himmel sein ...

Werner Richard Heymann, der Komponist all dieser Melodien, wurde in eine wechselvolle Epoche hineingeboren, als er 1896 als Sohn eines jüdischen Getreidehändlers in Königsberg zur Welt kam. Bald rührt sich das Erbe des musisch begabten Vaters und der Mutter, die in dem Ruf steht, eine vorzügliche Pianistin zu sein: Sohn Walther schreibt expressionistische Gedichte, die bald in Herwarth Waldens Zeitschrift "Der Sturm" zu lesen sind, Walthers jüngerer Bruder Werner Richard zeigt früh musikalisches Talent. Schon mit drei Jahren sitzt er am Klavier, bald spielt er alles nach, was ihm zu Ohren kommt; mit fünf klimpert er eigene Melodien, mit sechs bekommt er Geigenunterricht, mit acht notiert er frühe Kompositionen, mit zwölf ist er Mitglied des Philharmonischen Orchesters, stürzt sich auf Musiktheorie und Kontrapunkt und legt mit 16 Jahren das erste Orchesterwerk vor. Zeitzeugen bemühen das Wort vom "Wunderkind".

1916 wird in Berlin Werner Richard Heymanns Frühlings-Notturno für Orchester aufgeführt, dem ein Text seines Bruders zu Grunde liegt:

Die wir wandern ohne Ruh
Irgendwo auf Erden
Glaubst du nicht, dass ich und du
Einst sich finden werden?

Zwei Jahre später, so scheint es, hat der junge Komponist endlich seinen Durchbruch, als seine Rhapsodische Sinfonie für Bariton und Orchester von einem renommierten Wiener Musikverlag angenommen wird. Auch dieses Werk ist eine Hommage an den toten Bruder es wird im November 1918 von den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Felix Weingartner uraufgeführt, wenig später steht es auch in Berlin auf dem Programm. Die E-Musik-Freunde merken sich den Namen des blutjungen Komponisten: Heymann. Doch der erhält im revolutionären, unruhigen Berlin bereits neue Anstöße. Durch die Begegnung mit Johannes R. Becher wird er zum radikalen Pazifisten, er ergreift Partei, politisiert sich und beteiligt sich am "Rat der geistigen Arbeiter". Bei den Dadaisten trifft er auf George Grosz und Walter Mehring.

Noch arbeitet er an der Konzeption seiner zweiten Sinfonie, als er gefragt wird, ob er für Ernst Tollers Erstlingswerk Wandlung, das in der Berliner "Tribüne" auf dem Programm steht, die Bühnenmusik schreiben will. Die Aufgabe reizt ihn, zumal er sich in der von Fritz Kortner gespielten Hauptrolle wiedererkennt: Es geht um einen jungen Juden, der durch begeisterte Hingabe an den vaterländischen Krieg endlich akzeptiert und heimisch zu werden hofft, den aber das Fronterlebnis derart erschüttert, dass er das dem Staat verfallene Vaterland aufgibt, um als Revolutionär einem Menschheitsideal zu dienen.

Durch Mehring erfährt Heymann von Max Reinhardts Plan, im Keller des Großen Schauspielhauses ein literarisches Kabarett zu eröffnen. "Schall und Rauch" soll es heißen, wie seinerzeit Reinhardts Parodien-Theater der Jahrhundertwende; parodiert werden soll immer noch möglichst die Inszenierungen, die einen Stock höher auf der großen Theaterbühne gegeben werden. Aber die jungen Autoren, die Reinhardt um sich versammelt, Kurt Tucholsky, Klabund und Walter Mehring, wollen mehr. Mit dem Kriegsende ist auch die Zensur gefallen, die Zeichen stehen auf Veränderung. Jetzt will man den Neuanfang, politisch-literarisch will man sein, unsentimental und aggressiv, sarkastisch und ironisch, oppositionell und zeitkritisch. Auf der Bühne die Schauspieler des Reinhardt-Ensembles: Paul Graetz, Blandine Ebinger, Gussy Holl, Hubert von Meyerinck, Änn Heusinger, Gertrud Eysoldt. Am Klavier sitzen Werner Richard Heymann und Friedrich Hollaender. Das "Schall und Rauch" markiert den Startschuss für das bis dahin unbekannte zeitkritische deutsche Kabarett und wird zur Talentschmiede für alle, die das Kabarett der Zwanziger prägen sollten. Auch Heymann und Hollaender betreten Neuland ihres Fachs und gelten bald als Schöpfer und Begründer des literarischen Chansons. Heymann vertont vornehmlich Texte von Mehring, so den durch Gussy Holl berühmt gewordenen Song vom "Black Boy" und seinem Niggerparadies: "If the man in the moon were a coon und im Dunkeln liebten die Girls - schenkten alle weißen Ladies schwarze Babies schwarzen Kerls ..."

Als das "Schall und Rauch" auf Dauer nicht hält, was die ersten Programme versprachen, lassen sich Hollaender und Heymann am Klavier von Mischa Spoliansky vertreten und sehen sich nach neuen Aufgaben um. Heymann komponiert die Bühnenmusik zu Georg Kaisers Stück Europa, das im Großen Schauspielhaus mit Heinrich George, Roma Bahn, Alexander Moissi und Werner Krauss herauskommt. Anschließend reist er, ruheloser Wanderer zwischen mehreren musikalischen Welten, in den Süden und schreibt auf Capri ein Streichquartett, das Stefan Zweig 1921 auf seinem Salzburger Schlösschen am Kapuzinerberg aufführen lässt.

Zurück in Berlin trifft Heymann auf Trude Hesterberg, die Sängerin seines ersten Chanson-Opus; sie will ihre in der Zwischenzeit gesammelten Kabaretterfahrungen als Direktorin eines eigenen Ladens verwerten und fragt ihn, ob er mit dabei ist. Der Musiker lässt sich nicht lange bitten, auch wenn er nicht ahnen kann, dass mit der "Wilden Bühne", die die Hesterberg im Souterrain des Theater des Westens an der Kantstraße einrichten will, ein wichtiges Kapitel der Kabarettgeschichte aufgeschlagen wird.

Für das Eröffnungsprogramm, das im September 1921 über die winzige Kellerbühne geht, schreibt Tucholsky den Prolog, Annemarie Hase singt Leo Hellers Bänkellieder, Isabel Herma bringt Mehrings Moralisches Glockengeläute und Kurt Gerron begibt sich auf seinen Nachtspaziergang 1921 durchs pulsierende Nachkriegs-Berlin. Und dann die "wilde Trude" selbst, die ihre Chansons, so Kurt Pinthus in einer Kritik, "wie aus einem gut geölten Browning herausknallt". Großen Anteil daran, dass die "Wilde Bühne" nach dem Urteil der Presse nun "das künstlerisch wertvollste Kabarett Berlins" ist, eins, "das auf dem besten Wege ist, mit heutigem Akzent das bei uns zu werden, was den Erfindern der Gattung für ihre Zeit vorschwebte", hat der musikalische Leiter Werner Richard Heymann, der die Kompositionen liefert. Es kommt zu einer intensiven Zusammenarbeit mit Klabund und besonders mit Walter Mehring: An den Kanälen, Arie der großen Hure Presse, Die Kälte, Die kleine Stadt, Die große Sensation. Doch die Tage der "Wilden Bühne", die zur Inflationszeit nicht zuletzt wegen ihrer kompromisslosen Linie bald in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, waren gezählt.

Heymann lässt sich nach Konzertsaal, Theaterbühne und Kabarettkeller auf ein neues Medium ein - den Film. Produzent Erich Pommer holt ihn zur Ufa, wo er in den Babelsberger Stummfilm-Studios während der Dreharbeiten mit eigenem kleinem Orchester "Stimmungsmusiken" liefert. Wenig später wird er Assistent von Ernö Rapée, dem Generalmusikdirektor der Ufa, der allein im Ufa-Palast am Zoo ein 70-Mann-Orchester unterhält. Heymann schreibt in dieser Zeit, wie er in seinen biografischen Skizzen notiert, "so in einem Jahr 3000 Seiten große Orchester-Partitur". Als Rapée 1926 nach Amerika zurückgeht, wird Heymann sein Nachfolger und übernimmt damit 120 Filmtheater als musikalischer Leiter. Wie es dann weitergeht, skizziert Heymann in Stichworten so: "Verlasse die Ufa aus Protest gegen das Hugenberg-Regime - Mache letzte Bühnenmusik bei Max Reinhardt: Artisten - Schreibe ersten Weltschlager: Kennst du das Haus am Michigansee? - Gehe zur Tobis - Arbeite mit Tonfilmerfindern Masolle, Vogt und Engel; mache erste deutsche Tonfilme." Er hat bis zu diesem Zeitpunkt die Musik zu mehr als einem Dutzend Stummfilmen geschrieben, darunter für Murnaus Faust-Verfilmung, Asagaroffs Jugendrausch, Arnold Francks Der große Sprung und Fritz Langs Spione.

Heymann, der mit dem Tri-Ergon-Team experimentierte, ist der richtige Mann für die tönende Leinwand. Melodie des Herzens heißt der erste Ufa-Tonfilm "aus einem Guss", der 1929 unter der Regie von Hanns Schwarz mit Dita Parlo und Willy Fritsch in den Hauptrollen gedreht wird. Auch zum zweiten Tonfilm Liebeswalzer mit Willy Fritsch und Lilian Harvey sollte Paul Abraham die Musik machen. "Aber Abraham lieferte nicht. Und Erich Pommer, der mein Produzent war, kam nun sehr aufgeregt zu mir und sagte: 'Hören Sie zu, lieber Heymann, Sie sind mein musikalischer Leiter. Was soll ich nur machen? Abraham hat mich sitzen lassen und wir müssen anfangen.' Ich sagte: 'Versuchen Sie's doch mit mir.' Darauf sagt er: 'Sie sind doch ein ernster Komponist.' Darauf ich: 'Na, ich habe doch das Kleine Haus am Michigansee geschrieben, das war doch eine Bühnenmusik.' Aber Pommer wollte nicht so recht und meinte, das sei doch wohl ein Zufallstreffer gewesen. Und dann brachte ich ihm am nächsten Tag den Liebeswalzer und einen Tag später Das süßeste Mädel der Welt. Und dann hat er mir geglaubt."

Eigentlich habe er nie Schlager schreiben wollen, bekannte Heymann einmal. Als dann, für ihn selbst überraschend, Hits daraus wurden, habe er das aber doch genossen. Obwohl er ahnte, dass ihn diese Erfolge um die Anerkennung als "ernsthafter Komponist" und um einen Eintrag in seriösen Musik-Nachschlagewerken bringen werden. Sei's drum: Heymann schreibt einen Tonfilmschlager nach dem andern, die ohne Ausnahme zu "Ervolks-Liedern" werden, wie das sein Texter und enger Freund Robert Gilbert nennt. Heymanns Zusammenarbeit mit Gilbert beginnt 1930 für Wilhelm Thieles Filmkomödie Drei von der Tankstelle mit der inzwischen zum Leinwand-Traumpaar erkorenen Koppelung Lilian Harvey/Willy Fritsch, mit Heinz Rühmann, Oskar Karlweis, Kurt Gerron, Fritz Kampers, Olga Tschechowa, Felix Bressart und den Comedian Harmonists. Für den gerade aus der Taufe gehobenen Tonfilm kommen die Schlager, die das Gespann Heymann/Gilbert mit Ein Freund, ein guter Freund, Liebling, mein Herz läßt dich grüßen, Erst kommt ein großes Fragezeichen und Lieber, guter Herr Gerichtsvollzieher scheinbar aus dem Ärmel schüttelt, gerade recht. Dabei betreten die Autoren durchaus neue Gefilde, wenn sie - wie schon im Liebeswalzer - ein Genre im Auge haben, das als Vorläufer des späteren Film-Musicals gelten mag: die Film-Operette.

Ab September 1930 in den Kinos, bricht der Film, von dem auch eine französische Fassung gedreht wurde, alle Rekorde - er ist mit Abstand die erfolgreichste Produktion der Saison. Die Musik Heymanns hat daran großen Anteil, sie trifft mit ihren eingängigen Melodien minutiös genau das Zeitgefühl der Menschen in diesen letzten Jahren der Weimarer Republik, und sie bedient, wie der Film selbst, die Sehnsüchte der Menschen nach ein wenig Geborgenheit und optimistischer Grundstimmung.

Genau ein Jahr später, im September 1931, kommt das ausgemachte Traumpaar Harvey/Fritsch erneut in die Kinos, diesmal mit der Film-Operette Der Kongreß tanzt - eine Wiener Geschichte aus dem hohen Norden. Die von Erik Charell ins Bild gesetzte Romanze zwischen dem Zaren aller Reußen und einer armen Handschuhmacherin ist als Stück praller Lebensfreude in schwerer Zeit gedacht. Und sie ist voll Musik: Choreograph Charell, ein ehemaliger Tänzer, der bereits in den zwanziger Jahren Reinhardts Großes Schauspielhaus mit den nach ihm benannten Revuen und dem Langzeit-Renner Das weiße Rössl gefüllt hatte, ordnet dem von Heymann angelieferten musikalischen Gestus alles unter; selbst Schauspieler und Kameras scheinen sich im Walzertakt zu bewegen und dabei Das muss ein Stück vom Himmel sein zu summen. In einer einzigen, oft zitierten Einstellung wird die Harvey, in der Kutsche sitzend und Heymanns Schlager auf den Lippen, zum Wiener Tor hinausbegleitet. Der Titel, den sie dabei singt, wird auf Jahrzehnte zur Metapher jedweder Erinnerungsseligkeit: Das gibt's nur einmal … Mehr noch: "… das kommt nicht wieder, das ist zu schön, um wahr zu sein …"

Kein Wunder, dass es in der Kinokasse mächtig klingelt. Das Erfolgsrezept bewährt sich auch in anderen Produktionen. Und immer hat Heymann den passenden Schlager-Hit parat: Frag nicht wie, frag nicht wo und Du hast mir heimlich die Liebe ins Haus gebracht (Ihre Hoheit befiehlt), Eine Nacht in Monte Carlo, Das ist die Liebe der Matrosen und Wenn der Wind weht (Bomben auf Monte Carlo), Es führt kein andrer Weg zur Seligkeit und Hoppla, jetzt komm ich (Der Sieger), Gnädige Frau, komm und spiel mit mir (Quick), Wir zahlen keine Miete mehr, Einmal schafft's jeder und Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bißchen Glück (Ein blonder Traum), Wenn ich sonntags in mein Kino geh (Ich bei Tag und du bei Nacht) und Mir ist so, ich weiß nicht wie (Saison in Kairo).

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten beginnt ein gewaltiger Künstler-Exodus: Eine ganze Generation prominenter, erfolgreicher Schauspieler, Regisseure und Drehbuchschreiber wird vor die Babelsberger Ufa-Tür gesetzt.

Heymann verlässt mit zwei Koffern und 600 Mark in der Tasche über Nacht seine Heimat und flüchtet aus Berlin über das Saarland nach Paris, wo er seine erste Operette nach einem Buch von Sacha Guitry schreibt: Florestan I., Prinz von Monaco. Die Uraufführung findet 1934 in den "Bouffes Parisiens" statt. Der Hauptschlager hat noch einmal die alte Heymann-Qualität: Margot. Dann geht er nach Hollywood zur Centfox, wo er die Musik zu Caravan schreiben soll. Es gibt ein Wiedersehen mit Charell, der den Komödienstoff mit Loretta Young und Charles Boyer inszeniert. Aber Charell kann sich in Hollywood nicht durchsetzen, und auch für Heymann wird die erste Begegnung mit der Neuen Welt zur herben Enttäuschung. Die deutschen Emigranten gelten als schwierig, als wenig anpassungsfähig, und die alten Erfolge im fernen Europa zählen hier wenig. Werner Richard Heymann gilt als deutscher Dickschädel, zumal die englische Sprache nicht seine Sache ist. Werner Richard Heymann reist zurück nach Europa. Eine unruhige Zeit beginnt. 1936 versucht er in einem zweiten Anlauf, sein Glück in Hollywood zu machen. Diesmal sind die Bedingungen günstiger als beim Debüt: Ernst Lubitsch spannt ihn 1938 mit Friedrich Hollaender zusammen und lässt sich von den beiden die Musik zu Blaubarts achte Frau schreiben. Am Drehbuch hat Billy Wilder, der Freund aus vergangenen Ufa-Tagen, mitgearbeitet.

Aus der Zusammenarbeit zwischen Lubitsch und Heymann wird eine Serie. Jahr für Jahr kommt ein Filmklassiker dabei heraus: 1939 Ninotschka, 1940 The Shop Around The Corner (Rendezvous nach Ladenschluß), 1941 That Uncertain Feeling, 1942 To Be Or Not To Be (Sein oder Nichtsein). Heymann arbeitet für Alexander Hall, Lewis Milestone, Richard Wallace, Charles Vidor, Preston Sturges, Harry Joe Brown. Er gilt als verlässlicher Handwerker - der Mann im Hintergrund. Er schreibt die Musik zu über vierzig Hollywood-Filmen, meist sind es leichte Komödien, zuweilen mit einem Schuss vorsichtig dosierter Gesellschaftssatire, hier und da ein Sciencefiction-Streifen. Viermal wird seine Hintergrundmusik für den begehrten Oscar nominiert: 1939 für One Million B.C., 1941 für That Uncertain Feeling, 1942 für To Be Or Not To Be und 1944 für Knickerbocker Holiday mit Weills berühmtem September-Song.

1951 entschließt sich Heymann, nach Deutschland zurückzukehren und bekommt zum erstenmal wieder ein deutsches Filmangebot. Heidelberger Romanze heißt der Film mit O. W. Fischer und Liselotte Pulver, für den er die Musik schreiben soll. Werner Richard Heymann und Robert Gilbert, das erprobte Erfolgsgespann, tun sich noch einmal in München zusammen. Sie liefern Text und Musik zu einer Bühnenfassung des Blauen Engel, die 1952 in der Münchner "Kleinen Komödie" unter dem Titel Professor Unrat herauskommt. Nicht nur der Plot, auch die Besetzung erinnert an alte Zeiten: Trude Hesterberg, die einstige "Wilde" aus der Kantstraße, singt - inzwischen drall in die Sechziger gekommen - augenzwinkernd von Rentnercharme und Onkelehe: "Mir liegen die älteren Jahrgänge, es kommt mir nicht an auf die Haarlänge …".

Den Achtungserfolg, der sich an immerhin 75 Aufführungen festmacht, will das Autorenteam zwei Jahre später noch einmal wiederholt sehen. Diesmal mit der Neuauflage eines alten Lieblingsprojektes von Heymann, das vor Jahrzehnten mal Dame Nr. 1 rechts hieß und mit der damals noch jungen Käthe Dorsch zu besichtigen war: Kiki vom Montmartre. Auch dieses musikalische Lustspiel lebt vom Element der Rückbesinnung auf ferne, vergangene Zeiten. Einer der Hauptschlager, Das Schönste sind die Damen, ist im strikten Marschrhythmus geschrieben. Wie die Songs aus alten Ufa-Tagen, seinerzeit zur Heymann-Zeit.

Die aber gab's nur einmal. Werner Richard Heymann starb am 30. Mai 1961 in München. Robert Gilbert sprach ihm die Grabrede: "Wir nehmen Abschied von Werner Richard Heymann, wir alle, seine Nächsten, seine Freunde, die ihn geliebt haben. Und mit uns nehmen sie Abschied von ihm, die Unzähligen, über alle Welt verstreut, denen er mit seiner Musik das Leben wohl ein bisschen schöner, vielleicht auch manchmal ein bisschen leichter gemacht hat."

Der Text von Volker Kühn ist - stark gekürzt - dem Katalog zur Ausstellung "Ein Freund, ein guter Freund - Der Komponist Werner Richard Heymann" (Akademie der Künste, Berlin 2000) entnommen. Die Schau war nach Berlin, München und Salzburg vom Juli 2001 bis Februar 2002 im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg zu sehen.

Unscheinbare Dokumente, meine Damen und Herrn, können erstaunliche Geschichten erzählen. So auch ein schlichter Meldeschein aus dem Werner Richard Heymann-Archiv, das die Akademie der Künste betreut und als dessen Direktor ich heute spreche. Dieser Meldeschein vermerkt: Werner Richard Heymann, verheiratet, Beruf Komponist, geboren am 14. 2. 1896 in Königsberg, Staatsangehörigkeit deutsch, Religion ohne, meldet sich von Berlin Charlottenburg Karolinger Platz 5a ab, und zwar am 9. April 1933. In der Rubrik „Abmeldung nach (Ort)“, schrieb Heymann „auf Reisen“. Diese harmlose Formulierung verbirgt eine dramatische Geschichte. Seit 1912 hat Heymann in Berlin gelebt, zuletzt in diesem 1921 von Erich Mendelsohn für sich und Heymanns Bruder Kurt erbauten Doppelhaus. Nach dem ersten Weltkrieg vertonte er für die Kabaretts „Schall und Rauch“ und „Wilde Bühne“ Texte von Mehring, Klabund, Tucholsky und anderen und war, gemeinsam mit Friedrich Hollaender, der Begründer des literarischen Kabarettchansons. Ein zweites Mal schrieb er sich in die deutsche Kulturgeschichte ein, als er in den Jahren 1929 bis 1933 er eine weitere neue Kunstform begründete, die Tonfilmoperette. Der damals erfolgreichste Filmkomponist der Ufa hat in gut drei Jahren 15 Tonfilme komponiert und dirigiert.

Am 26. März 1933 kehrt er von den Dreharbeiten zu „Saison in Kairo“ aus Kairo nach Berlin zurück. Zwei Tage später, am 28. März, hält Joseph Goebbels eine Rede über die Zukunft des deutschen Films und propagiert auch dort die nationalsozialistische Machtergreifung. Schon am Tag darauf tritt der Vorstand der Ufa zusammen und beschließt, alle Angestellten jüdischer Abkunft zu entlassen, als erste Erik Charell und Erich Pommer, den Regisseur und den Produzenten des bis dahin erfolgreichsten Ufa-Tonfilms überhaupt, „Der Kongreß tanzt“. Sein Komponist Werner Richard Heymann wurde als vierter abgehandelt, und man staunt, wenn man das Protokoll liest. „Mit Rücksicht auf den anständigen Charakter von Werner Richard Heymann und die Tatsache, daß er als Frontsoldat den ersten Weltkrieg mitgemacht hat, beschließt der Vorstand, sich bei der Regierung für seine Weiterverwendung einzusetzen, zumal er getauft ist und dem evangelischen Glaubensbekenntnis angehört.“ Heymann ist und bleibt in der langen Reihe der Entlassenen der einzige, den man behalten will. Offenbar glaubt man, nicht ohne ihn auskommen zu können. Aber Heymann spielt dieses infame Spiel nicht mit. 10 Tage später verlässt er Berlin „auf Reisen“, mit 2 Koffern und 600 Mark. Diese „Reisen“ sollten 18 Jahre dauern. Sie führten ihn nach Paris, wo er zwei Operetten schrieb und aufführte, nach London, nach Hollywood, wieder nach Paris und 1936 schließlich endgültig nach Hollywood. In Deutschland war seine Musik verboten, die finanzielle Situation bedrückend, aber mit der Musik zu 5 Filmen von Ernst Lubitsch kamen Erfolg und Angebote; darunter sind die Kultfilme „Ninotschka“ mit Greta Garbo und „To be or not to be“. Viermal wurde er zum Oskar nominiert; insgesamt schrieb er in den 15 Jahren seines Amerika-Aufenthalts die Musik zu über 50 Filmen.

In seinem Herzen war Heymann all diese Jahre hindurch Europäer geblieben. Als sich 1951 in München eine Arbeitsmöglichkeit bei der Bavaria ergab, kehrte er nach Deutschland zurück. Im Juni 1951 kam er Gast der ersten Internationalen Filmfestspiele wieder nach Berlin. Zitat „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß man in einer Stadt, in der man mehr als 20 Jahre gelebt hat, auf einer Hauptstraße stehen kann und keinerlei Ahnung hat, wo man sich befindet. Die Häuser, die ich kannte, standen nicht mehr, und die Häuser, die noch standen, kannte ich nicht mehr. Ich war am ersten Abend auf dem Kurfürstendamm und glaubte mich in einer fremden, völlig gespenstischen Stadt. Ich wusste nicht einen Menschen, den ich hätte anrufen können. Am nächsten Tag berichteten Zeitungen und Radio, daß ich in Berlin sei, und jetzt brach buchstäblich die Hölle los.“ Zwölf Jahre Verbot hatten es nicht geschafft, Heymanns Lieder aus den Ohren und Herzen der Deutschen zu verbannen. Im Sommergarten am Funkturm dirigierte er bei einem Freiluftkonzert seine Melodien vor 25000 Zuhörern.

Der Wiederbeginn in Deutschland war nicht einfach. Die während des Nationalsozialismus in die Lücken der Vertriebenen nachgerückten Komponisten hielten auch nach 1945 ihre Stellung. Aber Heymann war nicht verbittert. In seinem ersten Brief nach der Rückkehr schrieb er: „Es ist eine merkwürdige Sache, man kann sich zehntausendmal innerlich sagen: Sie haben es ja so gewollt; sie haben den Krieg angefangen, sie haben sechs Millionen Juden vergast ” es hilft alles nichts: Wenn man die ersten zerschossenen Stadtteile sieht, überfällt einen der Gedanke, was es für ein Wahnsinn ist, daß Menschen sich so etwas antun können, und ich habe wieder einmal heulen müssen. Nicht aus Mitleid, sondern aus Verzweiflung, dass 2000 Jahre nach der Bergpredigt so etwas immer noch möglich ist.“

Auf einer seiner Fahrten durch Deutschland übernachtete Heymann in Dinkelsbühl. Der Hotelbesitzer brachte ihm das Gästebuch. Heymann schlug es auf und las auf der ersten Seite. „ Wer gegen den Juden kämpft, ringt mit dem Teufel!“ gezeichnet: Julius Streicher 1939. (Streicher war der langjährige Herausgeber des Nazi-Propagandablatts „Der Stürmer“). Es kamen weitere Nazigrößen, dann die ersten Amerikaner und schließlich wurde es wieder ein normales Gästebuch. Heymann schrieb auf eine neue Seite:
Meine Antwort zu Seite 1:
Den gab's nur einmal,
der kommt nicht wieder,
doch tausend Streicher spiel'n noch meine Lieder.
Werner Richard Heymann

Zum Schluß eine ironisch-ernste Selbstdarstellung Heymanns. Zitat: „ Ich liebe: meine Frau, mein Kind, die Welt, Menschen, Tiere, Landschaften, Essen, Trinken, Rauchen, Autofahren, Kochen, Bücher. Ich liebe die Freiheit. - Ich hasse: Diktatur, Gottlosigkeit, Notenschreiben, Wolle am Körper und Steinchen im Schuh. - Ich hoffe: auf die Vereinigten Staaten von Europa (das war im Jahr 1954), eine lange Jugend, auch für meine wundervoll junge und himmlisch schöne Frau und ” viel Geld.“

Daß Berlin 75 Jahre nach Heymanns Vertreibung aus der Stadt und 47 Jahre nach seinem Tod (” genau heute vor 47 Jahren starb er am 30. Mai 1961 in München ”)
eine Gedenktafel widmet, kommt spät. Aber wie heißt es im Lied, das die Tafel zitiert:
„Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück, und ich glaub daran in jedem Augenblick. (...) Und am Ende: „Irgendwo auf der Welt fängt der Weg zum Himmel an, irgendwo, irgendwie, irgendwann.“

Berlin, 30.05.2008
Gedenktafel am Karolinger Platz 5a

Barbara Kisseler

Grußwort
anlässlich des Filmabends „Erinnern für die Zukunft“
im Willy-Brandt-Haus am 1. September 2009

Lieber Enrique Sanchez Lansch,
lieber Tal Balshai,
liebe Elisabeth Trautwein-Heymann,
sehr geehrte Damen und Herren,

Der Freundeskreis des Willy Brandt Hauses lenkt unseren Blick heute, 70 Jahre nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen, auf die Kulturanmaßung der Nazis ebenso wie auf die von ihnen betriebene Kulturvernichtung. Die Lieder von Werner Richard Heymann mit ihrer unvergleichlichen Mischung aus Lebensfreude, Ironie und Wehmut stehen für den tragischen Verlust von jüdischen Künstlern, durch Ausgrenzung, Emigration oder Verfolgung, ein Verlust von beklemmend langer Wirkung, an dem alle, die doch weitgehend für die Kultur und von der Kultur leben, noch schwer zu tragen haben – ebenso wie die Generationen, die uns folgen werden. Der Film „Das Reichsorchester“ von Enrique Sanchez Lansch wird das ambivalente Verhältnis von Kunst und Macht in Zeiten der Gleichschaltung beleuchten, die Instrumentalisierung der Kultur und die Verstrickung von Künstlern, wenn man so möchte: den Verlust von Unschuld. Ein Film, der anregt zum Gespräch, ob heute Abend hier oder - wie bereits geschehen – in Tokio oder Paris

Das ist eine wirklich verdienstvolle Initiative des Willy Brandt-Hauses – und, wie ich finde, ganz im Sinne seines Namenspatrons, dessen Nachdenklichkeit und Zugewandtheit zu den Künsten hiermit eine ihm würdige Entsprechung findet.

Heute, an diesem 1. September, nutzen wir aber auch die Gelegenheit, uns an einen unserer wichtigsten Film-Musiker zu erinnern: Werner Richard Heymann. Er fasste mit der Machtübernahme der Nazis den Entschluss, seine deutsche Heimat zu verlassen.

Berlin und wir Deutschen haben ihm viel zu verdanken. Werner Richard Heymann war einer der besten Komponisten seines Genres. Ihm verdanken wir Lieder, die unzählige Menschen begeisterten, ohne dass sie wussten, wer der so genannte Urheber war. Sein oft zitierter Satz macht's deutlich: „Sie kennen mich zwar nicht, aber sie haben schon viel von mir gehört!“

Heymann steht mit seiner Biografie für die Zerrissenheit einer Generation von Künstlern, die viel aushalten musste und für die die Freiheit des Einzelnen und die Achtung seiner Würde zu einem existenziellen Gut wurde.

Kriegsausbruch – und später die Wannseekonferenz – lassen im Rückblick eine jegliche Einlassung mit dem Unrechtsstaat in noch krasserem Lichte erscheinen. Und doch haben wir Anlass, uns mit dem Urteilen – oder gar mit dem Verurteilen – vorzusehen.

Die Hoffnung nicht weniger Künstler im Dritten Reich – und so auch wohl der meisten Mitglieder der Berliner Philharmoniker –, in der Kultur ein Refugium zu finden, hatte viele, komplexe, für uns kaum mehr nachvollziehbare Gründe. Dazu gehörte die damals noch weitverbreitete Illusion, die Kultur könne ein politikfreier Raum sein und bleiben, ja sie könne gar herhalten als eine „Kompensation der Politik“. In seiner Rede zur Eröffnung der Jubiläumsausstellung der Philharmoniker hat Wolf Lepenies dies unter Hinweis auf den damals vorherrschenden Kulturbegriff und das von Thomas Mann und anderen propagierte Künstlerideal eindrucksvoll begründet.

Das Verhalten der Orchestermitglieder unterschied sich leider von dem der übrigen deutschen Eliten nicht wesentlich. Wir kennen das verhängnisvolle Einmaleins der langsamen Kompromittierung nur zu gut: Schweigen, Wegschauen, Anpassung –, dieses Einmaleins, das leider auch heute noch viel zu viele beherrschen und dies bei wesentlich geringeren Anlässen als damals. Allerdings muss man im Falle der Philharmoniker die nicht unwichtige Einschränkung gelten lassen, dass die Anzahl der Parteimitglieder unter den Philharmonikern vergleichweise gering war. (Wie es heißt, gehörten 18 der rund 100 Orchestermitglieder der Partei an.) Und doch ist, wie bei jeder neuen Einzeluntersuchung, die sozusagen zu den „Annalen“ der NS-Zeit vorgelegt wird, die Erkenntnis, wie sich ethische Grundvorstellungen deformierten und Sensibilitäten verlorengingen, ein jedes Mal erschütternd und erschreckend. Man denkt unweigerlich an Büchner's Wort: „Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einen, wenn man hinsieht.“

Wie konnten sich, fragt man sich heute, die Musiker dem infamen Aufführungsverbot von Werken sogenannter jüdischer Komponisten beugen und von heut auf morgen darauf verzichten, ein Werk des großen, sicherlich von ihnen auch geliebten Mendelssohn zu spielen? - Wo blieben, wenn Kollegen gedemütigt wurden, die Zeichen, wenn nicht der offenen Solidarität, dann zumindest der diskreten menschlichen Anteilnahme? Und warum blieben diese Zeichen von Anteilnahme und Einsicht auch lange nach Kriegsende noch aus?

Der verehrenswürdige Hellmut Stern, als heimgekehrter Emigrant über viele Jahre Erster Geiger bei den Philharmonikern, sagte in einem Interview im vergangenen Jahr, auf sein Verhältnis zu Karajan befragt, er habe bei aller Bewunderung für Karajan doch wenigstens einen Versuch der nachträglichen Verständigung über das Vergangene erwartet. In seiner Bilanz überwog schließlich die menschliche Enttäuschung. Denn in siebenundzwanzigjähriger Zusammenarbeit ist es dazu nie gekommen. Ein beklemmendes, ein bitteres Fazit.

Wieso z. B., frage ich mich, bedurfte es erst der Veröffentlichung der bewegenden Tagebücher von Victor Klemperer Mitte der 90ger Jahre, bis das Maß der stillschweigenden Anpassung im akademischen Milieu mit seiner langsam fortschreitenden Alltagsgrausamkeit erst richtig ins öffentliche Bewusstsein dringen konnte? Wieso haben die Akademikerverbände – seien es die Juristen, die Kunsthistoriker und selbst die Historiker – erst so spät damit begonnen, die NS-Zeit in ihren eigenen Reihen zu erforschen?

Die heutige Veranstaltung sollte uns animieren, Fragen dieser Art selbstkritisch nachzugehen. Wie ich schon sagte, wir haben Anlass, uns mit dem Urteilen – oder gar mit dem Verurteilen – vorzusehen. Das Verhältnis von Politik zu den Künsten ist auch heute – ich glaube zu wissen, wovon ich spreche – nicht immer von Opportunismus frei. Kultur schmückt ja auch, das wusste man schon in der Antike.

Aber ernsthaften Kulturpolitikern sollten sich in diesem Kontext auch andere wichtige, wenn auch nicht unbedingt existenzielle Fragen stellen. Ich denke an die Dilemmata des Alltags, an die sogenannten Sachzwänge, denen wir uns möglicherweise manchmal allzu schnell fügen. Was ist ein Bekenntnis zur Kultur wert, wenn es so schnell erschüttert werden kann (im wahrsten Sinne des Wortes: Stichwort Stadtarchiv) wie z. B. gerade aktuell in Köln? Wie gehen die politisch Verantwortlichen hier wie anderswo beispielweise mit Künstlern um, die in finanziell schwierigen Zeiten von ihrem hohen Kunstanspruch und ihren Visionen, dem Eigenwert des Kunstwerks nicht lassen wollen? Es gäbe noch einige Fragen mehr von dieser Art.

Wie es um das Verhältnis der Künstler zur Politik im Einzelnen bestellt ist, kann und möchte ich nicht beurteilen. Ich vermute zumindest, dass auch einzelne von ihnen von der Neigung zum Opportunismus zumindest nicht ganz frei sind. Als Wilhelm Furtwängler 1934 sein Orchester in die Obhut des Reichspropagandaministers gab, war es hoch verschuldet und letztlich nicht mehr existenzfähig. Auch dieser Umstand muss zu denken geben.

Wenn man sich vor diesem Hintergrund die Titel und Texte der Heymann'schen Lieder vor Augen führt mit ihrem anrührend stoischen, ick-mach-mir-Mut-Unterton, gewinnt man einen prägnanten Eindruck von den untergründigen Spannungen dieser Zeit.

Kulturpolitik braucht den offenen, den öffentlichen Diskurs und die Bereitschaft zum Dissens. Und es muss weiß Gott nicht immer alles den Beifall der großen Menge finden.

Oder um es abschließend noch einmal mit einem Wort von Willy Brandt zu sagen, das er 1971 bei der Verleihung des Friedensnobelpreises sprach: „Es gibt nicht nur die eine, alles andere ausschließende Wahrheit. Deshalb glaube ich an die Vielfalt und also an den Zweifel. Er ist produktiv. Er stellt das Bestehende in Frage. Er kann stark genug sein, versteinertes Unrecht aufzubrechen. – Der Zweifel hat sich im Widerstand bewiesen. Er ist zäh genug, um Niederlagen zu überdauern und Sieger zu ernüchtern.“

Ich danke Ihnen.

 
 
 

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